Wandergesellinnen erklären Schülern die Tradition der Walz
Kürzlich besuchten zwei Wandergesellinnen auf Einladung von Lehrkraft Martin Linke die Ohmtalschule. Die Schülerinnen und Schüler der Klassen 9b, 10G sowie einige weitere Interessierte erhielten dabei einen einzigartigen Einblick in das Handwerk und die jahrhundertealte Tradition der Wanderschaft, auch „Walz“ genannt.
Fanny, 27 Jahre alt, Schneiderin aus Niederbayern, ist seit zwei Jahren auf Wanderschaft. Pauli, 24 Jahre alt, Tischlerin aus der Nähe von Bremen, ist seit gut einer Woche unterwegs. Beide gehören dem „Freien Begegnungsschacht“ (FBS) an, einem Zusammenschluss von Handwerksgesellinnen und -gesellen, die auf traditioneller Wanderschaft sind oder waren. Der FBS wurde 1986 gegründet und setzt sich dafür ein, das Wissen und die Werte der Wanderschaft zu bewahren und weiterzugeben.
Die Wandergesellinnen berichteten den Schülern ausführlich über die Geschichte der Walz, die ihren Ursprung im Mittelalter hat und seit über 800 Jahren existiert. Früher war es sogar eine Pflicht für Handwerksgesellen, nach der Gesellenprüfung auf Wanderschaft zu gehen. Heute ist es eine besondere, freiwillige Tradition, die vor allem mit Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und dem Streben nach handwerklichem Können verbunden wird.
Dabei folgt die Walz strengen Regeln. Dazu gehört unter anderem, dass die Wandergesellen ohne Handy reisen und sich nur mit wenigen Hilfsmitteln wie Landkarten zurechtfinden dürfen. Sie starten ihre Reise mit nur 5 Euro in der Tasche und dürfen keine Ausgaben für Transport oder Unterkunft tätigen. Die Wanderschaft muss mindestens drei Jahre und einen Tag dauern, und dabei dürfen sie sich ihrem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer nähern.
Ein weiteres wichtiges Detail ist das Gepäck: Die Wandergesellen tragen nur das Nötigste bei sich, das in einem speziellen Rucksack, dem „Charlottenburger“ oder auch „Charli“ genannt, verstaut wird. Dieser Rucksack ist ein unverkennbares Symbol der Wanderschaft.
Ein besonders spannender Teil des Vortrags war die Erklärung der Zunftkleidung, die auf der Walz getragen wird. Fanny und Pauli erzählten, dass die Zunftkleidung aus verschiedenen Teilen besteht, die jeweils eine besondere Bedeutung haben. Fanny trug rote Kleidung, da sie Schneiderin ist, und Pauli schwarze Kleidung, weil sie Tischlerin ist. Der Hut, der Teil der Zunftkleidung ist, darf nur zum Essen oder in der Kirche abgenommen werden.
Die verschiedenen Farben und Details der Zunftkleidung geben Auskunft über den Beruf und die Arbeit der Gesellinnen und Gesellen. So symbolisieren zum Beispiel acht Perlmutknöpfe auf der Weste acht Stunden Arbeit am Tag, sechs Knöpfe auf der Jacke stehen für sechs Arbeitstage in der Woche, und drei Manschettenknöpfe repräsentieren die drei Lehrjahre und die drei Jahre Wanderschaft. Die Zunftkleidung ist somit nicht nur Arbeitskleidung, sondern auch ein symbolisches Element der Walz.
Im Anschluss und während des Vortrags hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Davon wurde von den beeindruckten Schülerinnen und Schülern auch rege Gebrauch gemacht. Fanny und Pauli beantworteten alle Fragen geduldig und teilten dabei viele spannende Geschichten aus ihrem Leben auf der Walz. Besonders beeindruckend waren die Erzählungen über die Begegnungen, die sie auf ihren Reisen gemacht haben, und die vielen Handwerksbetriebe, die sie bereits kennengelernt haben.
Zum Abschluss des Besuchs erhielten die Wandergesellinnen noch einen Stempel in ihr Wanderbuch, der einzige Nachweis über die Etappen ihrer Reise.
Die Ohmtalschule bedankt sich herzlich bei Fanny und Pauli für ihren Besuch und die Möglichkeit, einen so interessanten und authentischen Einblick in die Welt der Wandergesellen und die Tradition der Walz zu erhalten.
Die Ohmtalschule wünscht Fanny und Pauli eine „Fixe Tippelei“!
Text: Martin Linke
Foto: Silvia Simon