Einfach Lust auf Schule


Lehrerin Petra Ebert denkt auch mit 66 Jahren noch lange nicht ans Aufhören
In Deutschland fehlen allerorten Lehrkräfte, die Zahlen dazu sind alarmierend. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet, fehlen im laufenden Schuljahr bundesweit insgesamt 14.466 Lehrer und Lehrerinnen. Und die Prognosen für die Zukunft – so unterschiedlich die Zahlen auch sein mögen – sehen leider nicht besser aus.
Schüler leiden unter Unterrichtsausfällen, die Corona-Jahre haben zum Teil deutliche Spuren im Leistungsvermögen der Kinder und Jugendlichen hinterlassen. Auf der anderen Seite freuen sich die allermeisten Lehrkräfte auf den wohlverdienten Ruhestand, denn die stetig gestiegenen Anforderungen und Belastungen sowie viele Probleme innerhalb des Schulwesens haben bei vielen deutliche Spuren hinterlassen.
Bei Petra Ebert ist das irgendwie anders. Seit 1997, als die Hombergerin ihre erste feste Stelle an einer Gießener Schule bekam, ist sie unermüdlich im Dienst. Und sie hat noch lange nicht vor, damit aufzuhören. Denn obwohl sie vor den Sommerferien 2024 an der Ohmtalschule (OTS) feierlich in den offziellen Ruhestand verabschiedet wurde – mit vielen Dankesworten, Umarmungen, Händeschütteln, Blumen und allem, was sonst noch dazu gehört – sitzt die Pädagogin immer noch tagtäglich im Klassenzimmer, um mit Schülern die Grundlagen der Rechtschreibung und der Mathematik oder die Stolperfallen der englischen Sprache zu besprechen. „Ich habe einfach Lust auf Schule!“, sagt die 66-Jährige. „Die Arbeit mit den Kindern macht mir viel Freude! Und ich habe die Energie.“
Letzteres wissen Schüler und Kollegen nur zu gut. Frau Ebert ist immer da. Frau Ebert hat immer ein offenes Ohr. Und Frau Ebert weiß immer Rat. Jahrelang hat sie als Leiterin des OTS- Fachbereichs Arbeitslehre Schülern geholfen, das passende Praktikum, eine gute Ausbildung und den richtigen Betrieb zu finden. Hat gut funktionierende und sehr wichtige Verbindungen geschaffen zwischen heimischer Firmenwelt und Ohmtalschule. In der Werkstatt mit Kindern und Jugendlichen gehämmert, gesägt und gebohrt. Als Deutschlehrerin bis zum Umfallen Groß- und Kleinschreibung und Texte lesen durchexerziert.
Mindestens ebenso wichtig ist das, was die Schüler bei ihr außerhalb des Lehrplans lernen. Pünktlich kommen. Höflich sein. Freundlich fragen. Handy weg. Kaugummi raus. Kappe ab. Richtig zuhören. Und vor allen Dingen: Gas geben. Damit man seine Träume später auch verwirklichen kann. Damit man einen Beruf lernen kann, der Spaß macht. „Voll streng, Frau Ebert!“ – dachten da sicherlich einige. Stimmt, aber eben auch die richtige Vorbereitung aufs Berufsleben.

Petra Ebert selbst war Schülerin der Ohmtalschule und weiß, wie wichtig und weitreichend die Arbeit von guten Lehrern ist. Die dortige langjährige Lehrerin Christiane Gans nennt sie ihr Vorbild. „Sie hat mich immer wieder motiviert durchzuhalten“, sagt Ebert. Bereits damals entstand der Wunsch, Lehrerin zu werden. Dank Schüler-BaföG gelang das auch. 1976 folgte das Abitur, dann allerdings erst mal vier Semester Geologie. „Dann gab es ein neues Fach, Polytechnik/Arbeitslehre, als praktische Lebenshilfe und Vorbereitung zur Berufswahl“, erinnert sich die Pädagogin. Doch als sie fertig studiert hatte, waren alle Stellen besetzt. Es folgten verschiedene Stationen: Vertretungen an Schulen, Mitarbeit im Projekt „Arbeit und Bildung statt Sozialhilfe“ in Alsfeld, mehrere Jahre am Modellprojekt „Probierwerkstatt“ mit Mädchen aus sozialen Brennpunkten in Gießen, schließlich Arbeit an der Theodor-Litt-Schule in Gießen. Den richtigen Umgang mit Jugendlichen, die vielleicht nicht ganz so motiviert beim Lernen sind, hat Petra Ebert in der außerschulischen Jugendsozialarbeit gelernt. In der Arbeit mit reinen Jungsklassen, mit Straftätern oder ehemaligen Drogenabhängigen. Mit Mädchen, die zuhause keinerlei Unterstützung erhalten.
Im Jahr 2000 dann die Rückkehr nach Homberg, einschließlich Hauskauf: Die gebürtige Ober- Ofleidenerin macht Referendariat an der OTS und erhält eine feste Stelle mit Klassenleitung. Schon damals war Petra Ebert sehr vielfältig, unterrichtete unter anderem Werken, Arbeitslehre, Geschichte, Powi, Deutsch, Kunst und Hauswirtschaft … „Ich habe alles genommen, was ich kriegen konnte“ sagt sie und lacht. Unzählige Abschlussklassen hat sie betreut, vor allem im Hauptschulzweig. „Im Nachhinein muss ich sagen, ich habe von den Umwegen, die ich genommen habe, stark profitiert. Man lernt den Lehrerberuf sehr zu schätzen. Und ich habe viel gelernt in der Jugendsozialarbeit, was mir später sehr geholfen hat.“
Statt den wohlverdienten Ruhestand zu genießen, joggen zu gehen, zu lesen oder sich intensiv um den Garten zu kümmern, arbeitet die Mutter zweier erwachsener Kinder nun also noch immer an der OTS, mit zurzeit 19 Stunden pro Woche. „Frau Ebert ist eine engagierte, leidenschaftliche Pädagogin. Für sie ist der Lehrerberuf eine echte Berufung“, lobt Schulleiter Carsten Röhrscheid. Es sei daher nur folgerichtig, dass sie dieser Berufung auch nach ihrer Ruhestandsversetzung nachgehen wolle. „Welches Glück für die Ohmtalschule, dass sie das hier tut“, so Röhrscheid.
Petra Ebert arbeitet an einem im Aufbau befindlichen Projekt, das so ganz nach ihrem Geschmack ist: Die „Lernoase“. Dabei handelt es sich um einen gemütlich eingerichteten Förderraum mit vielfältigen Lern- und Fördermaterialien, in dem einzelne Schüler der 5. Klassen in ruhiger Atmosphäre und mit Eberts Unterstützung Unterrichtsinhalte durch- oder nacharbeiten können. Individuelle Defizite sollen dabei gezielt beseitigt werden, indem sich Schüler mit Arbeitsaufträgen aus den Hauptfächern in diesen ruhigen Raum zurückziehen können.
„Das Projekt liegt mir sehr am Herzen“, sagt Petra Ebert. „Es macht Spaß, sich mit Ideen einzubringen, etwas voranzubringen, nachhaltig und zielstrebig zu arbeiten.“ Die schöne „Ruhebank“, die Petra Ebert zu ihrem Abschied im Sommer von Schülern der Abgangsklassen geschenkt bekam, muss deshalb wohl noch eine Weile ohne sie auskommen.

Text und Bilder: S. Simon